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Erinnerungen an
Fiedel
„ zum Fiedel fahren“ – das war wie mal
schnell den Planeten wechseln, um etwas Zeit mit ein paar
Außerirdischen zu verbringen.
Der Tunnel unten in Rothschönberg war unsere Zeitmaschine.
Einmal durchgefahren, warst du im Märchenland und wenig
später, von Fiedel umsorgt, manchmal sogar schon im
„Zauberwald“. Den Zündschlüssel
herumgedreht, das Auto aus, kurz durchatmen…endlich!...und
Ruhe legte sich über das alltagsgeplagte Gemüt wie
ein Zaubermantel. Jetzt musste man nur noch am Cerberus vorbei. Dragon
entgeht kein Neuankömmling. Er tut einem nichts, fordert aber
Zuwendung ein. Kaum Platz genommen, tauchte schon Fiedel auf, mit zwei,
drei Hülsen in den Händen, die er gezielt an die
Bedürftigen verteilte. Egal, wieviel Hektik gerade herrschte,
jeder wurde von Dir herzlich begrüßt.
Die
kulinarischen Vorlieben jedes Einzelnen von uns kanntest Du auswendig,
aber vorsichtshalber wurde trotzdem nochmal nachgefragt. Einer Deiner
Lieblingssätze war „ Wenn´s dem Wirt gut
geht, geht´s auch den Gästen gut.“ Uns
ging es bei Dir immer gut. Und wenn es einem gerade mal nicht so gut
ging, wurde es bei Dir wieder gut. Wenn es nicht gut wurde,
war´s auch gut. Man kann eben nichts erzwingen. Du hast
Menschen nicht einfach geduldet, weil´s nun mal Dein
Geschäft war. Du hast jeden genommen wie er war, das
Gefühl gegeben, willkommen und genau so richtig zu sein.
Dein Haus stand allen offen und doch wäre keiner von uns auf
die Idee gekommen, das auszunutzen. Der Respekt vor Dir und Deinem
charaktervollen Idyll hatte nichts Autoritäres. Man hatte ihn
einfach. Falls nicht, gab´s lediglich kurze Ansagen.
Es war
in all Deinen Kneipen so: dem wachsamen Blick Deiner Augen
über´m Zapfhahn entging nichts. Wo gerade ein Bier
ausgetrunken wurde, floß aus dem Hahn schon das
nächste in´s Glas, kein Aschenbecher wurde zu voll
und wenn einer einem anderen gegenüber laut wurde und sich
Übles anbahnte, marschierte der plötzlich an Deiner
Seite auf magische Weise Richtung Ausgang und blieb lange
draußen. Die Geschichten um Deine klarstellenden
Fähigkeiten waren immer irgendwie beruhigend –
schön anzuhören sind sie bis heute. Stellvertretend
sei die erzählt, die sich in einer Kneipe in der Neustadt
abgespielt hat: Ein Nazi machte Dir gegenüber –
Zitat- „solche komischen Karateübungen“.
Du sagtest zu ihm „Höre off, ich rupp
dir´s Been raus!“ Er hörte nicht auf und
verließ die Kneipe demzufolge auch nicht auf seinen eigenen
Füßen.
In Deiner Nähe fühlte man sich beschützt;
wer sich aber nicht bdroht fühlte, konnte trotzdem sicher
sein, daß das so bleibt.
So würden viele Heimat definieren. Wir, Deine
Freunde tun es
auch. Der Gedanke an Dich und Kottewitz war und ist: H e i m a t .
Nicht besitzergreifend oder gar neidisch auf das, was Du geschaffen und
ermöglicht hattest, sondern einfach nur dankbar.
Wie dankbar wir eigentlich sind und sein können, begreifen wir
vielleicht jetzt erst. Du hast von uns nie so etwas wie Dankbarkeit
erbeten oder gefordert. Die Selbstverständlichkeit, mit der Du
uns in Kottewitz immer empfangen hast, kam uns vor wie ein Naturgesetz,
an dem sich so schnell nichts ändern wird. Die Option, die
immer da sein würde. Wo der Einsame Gesellschaft,der Witzbold
Gleichgesinnte findet und der Melancholiker sich verkriechen kann.
Den
Satz „Ich hab noch nicht geöffnet.“ gab es
bei Dir trotz offiziell geregelter Öffnungszeiten nicht. Nur
manchmal, z.B. nach ausgedehnten Veranstaltungsabenden, aus denen
Nächte wurden, fanden Nichteingeweihte Sonntag Vormittag den
handgeschriebenen Hinweis „Heute erst ab 15 Uhr
geöffnet“ vor. Den Sonntagsbraten gab es
natürlich trotzdem, nur etwas später. Inzwischen war
aufgeräumt, Kneipe gekehrt, Frühstück
gemacht, Kaffee gekocht, wenn nötig, Betten bezogen,
Handtücher eingesammelt und das neue Faß
für den nächsten Abend rangeschleppt.
„Beliebt“ bei Dir in solchen Momenten, ausufernde
Essensbestellungen. Doch wer mit einem „Dafür hab
ich jetzt keine Zeit!“ rechnete, bekam Dein „Mach
ich dir. Ich muß bloß erstma kurz dies und jenes
regeln“.
Dennoch durften wir mit Dir auch private Momente erleben und hatten
immer das Gefühl, daß Du alles mit der Dir eigenen
Leichtigkeit im Griff hattest. Der Satz von Tolstoi „Das
Glück besteht nicht darin,daß du tun kannst,was du
willst,
sondern darin,dass du auch immer willst was du tust.“ war
Dein Lebensmotto.
„Kompliziert“- für dieses Wort gab es auf
Kottewitzerisch keine Übersetzung, wie so vieles bei Dir eben
nicht allgemeingültigen Regeln entsprach. Wollte man ein
Wörterbuch „Fiedelisch- Deutsch“
herausgeben, dürften Wortschöpfungen wie
„bitte heute keine Kompliziertkeiten mehr“,
„Fritzentypen“, „ da kommt mir de
Linse“ und „dort isses, würde de Frau
Schulze sachn“ oder „da geh´sch
kabudd!“, „das is der richt´sche
Wind!“ und schließlich „das Leben ist
eine Sahnetorte!“ nicht fehlen. Aus einer Speisekarte des
benachbarten Auslandes brachtest Du kulinarische Besonderheiten wie
„Huhnfliegl und Schweinepuppe“ mit.
Wobei das mit
der Sahnetorte hin und wieder verschieden war. Wer Dir zu saumselig,
zögerlich oder nörglerisch erschien oder bereits nach
zwei Kurzen aufgeben wollte,bekam auch mal ein „Das Leben ist
keine Sahnetorte!“ zu hören. Aber das war
selbstverständlich nur ein kluger didaktischer Schachzug in
feinster Fiedel-Pädagogik.
So vielseitig und unterschiedlich die Menschen, die sich bei Dir
trafen, waren, so viele Erinnerungen an Dich werden bleiben. Sie alle
hier zu erwähnen, würde den Rahmen sprengen. Wir
haben die gesammelt, die bis jetzt erzählt wurden und sie
liegen zum Lesen bereit, können mitgenommen oder nachbestellt
werden.Manchmal fallein einem gerade jetzt pötzlich Anekdoten
ein, wie ein Gruß von Dir aus einer fernen, alten Zeit. Diese
hier beschreibt Deine Haltung dem Leben gegenüber besonders
gut.
Erzählt von Detlef Schweiger:
Anfang der 80er Jahre bei einem unserer vielen Boofen-Ausflüge
in die Sächsische Schweiz überredet mich Fiedel - wir
waren beide schon leicht angetrunken und übermütig -
in der Abenddämmerung zu einem waghalsigen Klettergang auf
eine Felsnadel, den wir dann auch prompt bar- und
leichtfüßig ohne Seil meisterten.
Oben angekommen unser stolzer Eintrag ins Gipfelbuch und mein
entsetzter Blick auf einen schwierigen Übersprung ohne Anlauf
auf eine benachbarte Felsgruppe zum Rückweg.
„Wer von uns diesen Sprung nicht schafft“, sagte
ich zu Fiedel“, ist wahrscheinlich tot. „
„Ja“, sagte Fiedel und:“ wenn du lieber
den selben Weg zurück nehmen willst, bist du garantiert tot
Als Du im jugendlichen Übermut seinerzeit auf dem Rummel
Kesselsdorfer Straße dem Mädel, die im
Kettenkarussel vor Dir saß,etwas Schwung abgeben wolltest,
war der so heftig, daß die derart Beschleunigte auf direktem
Wege aus dem Kettenkarussel in die Schießbude geflogen ist.
Passiert ist keinem etwas, aber der Schießbudenbetreiber wird
genauso erschrocken ausgesehen haben wie wir, als wir von Deinem
unerwarteten Tod hörten.
Wie das jetzt alles gehen soll, ohne
Dich, wissen wir noch nicht. Du hast uns keine Gebrauchsanweisung zur
Be- und Verwertung Deines gelebten Lebens hinterlassen. Aber Du hast
uns jede Menge von all dem, was wir jetzt brauchen werden, mitgegeben.
So mancher hat wohl damals vor knapp 20 Jahren beim Anblick der Ruine,
die Du in Kottewitz gekauft hattest, den Kopf geschüttelt und
sich und auch Dich gefragt:“ Was soll das hier? Das ist doch
komplett verrückt!“ Wir erinnern uns an
Entrümpelungs-und Aufräumwochenenden,
feuchtfröhliche Abende im verrusten
„Rittersaal“, Nächte in klammen
Federbetten aber mit Mondschein-Abo, Sommerdusche und
natürlich an den inzwischen legendären Wohnwagen, die
„Lommatzscher“ . Visionen und Pläne
machten die Runde - kaum vorstellbar, wie das alles zu schaffen sein
sollte.
Die Gewißheit, mit der Du immer wieder neu ans Werk
gegangen bist, egal, wie hart es im Leben hin und wieder kam, streute
uns den Mut in die Herzen, an diesen Deinen Ort zu glauben. Du wolltest
ihn so verstanden wissen, wie wir ihn wahrgenommen haben: ein Ort des
friedlichen Miteinanders, offen für alle, die auch offen sind
für „butz´sche Lust“. Der
Schmerz in uns darüber, Dich nicht mehr hier auf Erden unter
uns zu haben, nährt die Hoffnung und den Wunsch, dieser Dein
Ort möge genau das bleiben.
Wer mit Dir in Deinen letzten
Tagen noch gesprochen hat, weiß, daß dies auch Dein
Wunsch war. Die Meisten von uns kannten Dich viele Jahre, Andere hatten
Dich gerade erst kennen gelernt und freuten sich auf´s
Wiedersehen.
Für sie alle aber warst Du: beliebtester
Gaststättenleiter, Herbergsvater und Lagerleiter,
Seelensalber, Rumänienliebhaber mit hauseigener orthodoxer
Nonne „in so ´nem Strampelanzug“, die in
deiner Blockhütte in den Bergen
überwinterte,Tischtennisprofi mit knallharter Netzangabe und
dem Schlachtruf „Jetzt is aber knallhart Konfirmation
angesagt!“, Saunawart mit stilvollem Hechter in die kalte
Badewanne oder in den tiefen Schnee,
7-Kampf-Ausrichter,Kraftfeld-Splitter-Streubombe und vor allem und
überhaupt ein Meisterfiedler auf dem Geigenbogen des Lebens.
Wir haben berauscht und beglückt Deiner Aufführung
eines wunderbaren Konzertes gelauscht. Nun, nachdem dieses verklungen
ist, blättern wir das Programmheft um und lesen:
„Sie hörten die Uraufführung des Werkes mit
dem Virtuosen in seinem weltweit ersten und auch letzten Konzert. Alle
Rechte vorbehalten. Vervielfältigung durch Bewahren der
Erinnerung ausdrücklich erwünscht.“
Wir lieben Dich und werden uns immer an Dich erinnern.
Deine Freunde
Trauerrede Urnenbeisetzung 20.08.2010
verfasst von Dorothea Schröder, vorgetragen von Frank Weiland
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